Auf den Spuren unserer Mönche

Eine Reise durch das südliche Polen

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Ich will über eine Reise berichten, die ich kürzlich durch das südliche Polen gemacht habe. Früher nannte man diese Region Schlesien.  Hier haben meine Vorfahren gelebt und hier wurde ich geboren. Dennoch zögere ich, von meiner Heimat zu sprechen.

Ich habe lange gebraucht, bevor ich mich zu dieser Reise entschloss. Eigentlich glaubte ich, dass ich mich damit abgefunden hätte, dass das einstige Schlesien wie auch andere Gebiete im Osten nun nicht mehr zu Deutschland gehören und dass sie für  den Preis der deutschen Wiedervereinigung für immer aufgegeben wurden.
Dennoch beschäftigte mich in letzter Zeit – vermutlich altersbedingt – immer wieder der Wunsch, doch noch einmal das Land zu bereisen, das eine so wechselvolle Geschichte hatte und bei dessen Erschließung insbesondere die Zisterzienser Mönche aus unserem Kloster Pforta Herausragendes geleistet haben. Das machte mich neugierig!

In fast allen Büchern, die sich mit der Geschichte des ‚Deutschen Ostens’ beschäftigen, werden Sie – unsere schlichten Mönche – erwähnt und dafür gelobt, dass sie als ‚Rodungsspezialisten’ sehr willkommen waren, weil sie ihre Klöster mitten hinein in die Wildnis setzten, dabei die riesigen Waldgebiete kultivierten, Flüsse  bändigten und mit deutschen Siedlern deutsche Dörfer gründeten.
Wie beschwerlich das war, können wir uns heute kaum vorstellen.
Gustav Freytag hat in seinem Werk „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ farbig und lebensnah geschildert, wie sich die Besiedlung der Ostgebiete damals abgespielt hatte.
Die Bauern, Handwerker und Kaufleute versprachen sich bessere Chancen und einen schnellen Aufstieg auf neuem Boden.
Was versprachen sich aber unsere Mönche in dieser fremden und zum Teil unkultivierten Gegend? Warum wollten sie neue    Klöster gründen, obwohl ihre Anlage an der Saale noch längst nicht baulich fertig war und man sich in der näheren Umgebung  hätte reichlich betätigen können?
War es ihr ehrliches Bedürfnis, die slawischen Heiden von ihrer christlichen Religion zu überzeugen, oder sahen sie sich genötigt,  die Eroberungspolitik der Kirche und deutscher Feudalherren im Osten zu unterstützen?
Oder war es ihr eigenes Machtstreben, möglichst viele erfolgreiche Filitationen zu haben. Ihr Orden dominierte zu dieser Zeit in Europa und genoss großen Einfluss auf politische Entwicklungen.
Und das Kloster Pforta hatte sich nach den anfänglichen Schwierigkeiten in kurzer Zeit hervorragend entwickelt und war zu einem wichtigen Faktor geworden. Seine Mönche waren geschätzt, sie mussten die Herrscher der Ländereien nicht um Einverständnis bitten, sie waren willkommen – man holte sie.
Boleslaus der Lange, der in Thüringen aufgewachsen war, hatte 1163, als er wieder in sein Land zurückkehren konnte, Zisterziensermönche aus Pforta mitgenommen und ihnen Leubus an der Oder als Klostersitz zugewiesen.
1175 erhielten sie von ihm den Stiftungsbrief, die offizielle Gründungsurkunde und die Erlaubnis, deutsche Bauern auf ihren Gütern anzusiedeln.
Ihr Start an der Oder war ähnlich beschwerlich wie seinerzeit der an der Saale. Auch glichen sich die ersten bescheidenen Bauten. Es dominierten die schlichten Kirchen mit ihren Flachdächern und die dürftigen Klausuren. Die prachtvollen Anlagen entstanden erst in späteren Jahrhunderten.

Zurück aber zu meiner Reise:
In Krakau, der einstigen Hauptstadt Polens, begann unsere Rundreise. Wir waren eine relativ kleine Gruppe. Außer mir waren die anderen Teilnehmer historisch unbelastet – also keine Heimatvertriebene.
Erst in den Hotels trafen wir auf echte ehemalige Schlesier, die das Land 1945 hatten verlassen müssen. Man erkannte sie an ihrem charakteristischen Tonfall, der mir zwar vertraut ist, den ich aber selbst nicht beherrsche.

Krakau und Breslau waren die Hauptstationen unserer Reise, das sagenumwobene Riesengebirge die Abrundung des Programms.
Dass Krakau beeindruckend ist, weiß man. Auf den Bildern 1-2-3 sieht man den Schlossberg auf dem Wawel, den historischen Hof der Universität und die Marienkirche inmitten der Altstadt mit dem Altar von Veit Stoß.

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Universität Krakau

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Königsschloss Wawel

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Die Aufnahmen zeigen das Breslauer Rathaus und die berühmte  Aula der Universität Leopoldina. Der Besuch von Breslau war für  mich besonders wichtig. Die Stadt war im Krieg fast vollständig zerstört worden und wurde sehr liebevoll von den neuen Bewohnern wieder aufgebaut.
Dennoch glaubte ich mich in einer deutschen Stadt zu befinden – ich fühlte mich irgendwie heimisch

Aber zurück zu unseren Mönchen:
Da Leubus nicht auf dem Programm stand, war ich auf das Kloster Grüssau sehr gespannt.
Wie ich schon sagte, gründeten unsere Mönche, die sich selbst erst 1137 an der Saale angesiedelt hatten, 1175 zwei Töchter-Klöster – nämlich Altzella in Sachsen und Leubus in Schlesien.
Wie man in der Schrift „Die Zisterzienser …“ von Petra Dorfmüller nachlesen kann, durfte ein Kloster eine Filiation gründen, wenn mindestens 60 Mönche in diesem lebten, und es in seiner inneren Struktur stabil genug war. Erst dann durfte der Konvent 12 Brüder mit ihrem neuen Abt zur Gründung eines neuen Klosters entsenden.
Wie sich das intern im Kloster Pforta abspielte, schildert der euch sicherlich bekannte Autor Johannes Derksen in seinem Buch „Im verschlossenen Garten“.
Nach den erfolgreichen Gründungen in Leubus und Altzella entsandte Pforta 1208 Mönche nach Dünamünde bei Riga im heutigern Lettland, gründete 1243 das Kloster Falkenau bei Dorpat und 1305 Padis bei Reval in Estland und übernahm als Tochter das Kloster Stolpe an der Ostsee, das 1153 als Benediktinerkloster gegründet worden war.

Unsere Mönche blieben aktiv und expansiv. Sie genossen hohes Ansehen, auch in der Ordensgemeinschaft. Man übertrug ihnen   nicht nur das Visitationsrecht über die eigenen Klostergründungen, sondern auch über deren Tochtergründungen und über weitere Zisterzienserklöster.

Kloster Leubus, zwischen Glogau und Breslau an der Oder gelegen, entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zum Kulturzentrum Polens und zum größten sakralen Barockmonument in Europa. Wie sein Mutterkloster Pforta verfolgte auch Leubus einen expansiven Kurs:
1222 gründete man Mogila, 1227 Heinrichau, 1246 Kamenz und 1292 das Kloster Grüssau.
Die Geschichte vom Kloster Leubus verlief sehr wechselvoll. Seine Hochzeit erlebte es unter den Habsburgern, unter deren Herrschaft die prunkvollen barocken Bauten entstanden. Die Dimensionen müssen gigantisch gewesen sein, allein die Doppelturmfassade hat eine Länge von 223 Metern.
Dagegen wirkt unsere Klosteranlage mehr als bescheiden – eben zisterziensisch schlicht.
Der bauliche Zustand von Leubus soll heute renovierungsbedürftig sein. Ich kenne leider nur Bilder von der Anlage.
Tief beeindruckt war ich vom Kloster Grüssau, das im Ziedertal des Riesengebirges liegt und 1242 für Benediktinermönche aus Böhmen gegründet worden war.
1292 übernahmen Zisterziensermönche aus Heinrichau das Kloster. Auch seine Geschichte war sehr wechselvoll.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg begann Grüssaus goldenes  Zeitalter, welches bis zur Säkularisierung 1810 andauerte. 1919 kamen Prager Benediktiner-Mönche. Sie wurden1945 vertrieben. Zurzeit leben polnische Benediktinerinnen aus Lemberg in der Klausur.
Die Bilder 8 – 14 vermitteln einen Eindruck vom einstigen Wohlstand des Klosters und seinem heutigen Zustand.
Obwohl die ursprüngliche Marienkirche des Klosters schon repräsentativ war, ließ der damalige Abt sie 1728 abreißen und     eine noch prunkvollere barocke Kirche nach böhmischem Vorbild errichten. Und da diese nur für die Mönche bestimmt war, baute  man für die Laien eine eigene Kirche, die nur wenige Meter von der Klosterkirche entfernt liegt und in ihrer Ausgestaltung der Hauptkirche nur unwesentlich nachsteht.
Als ich auf das Klostergelände kam und vor der barocken Doppelturmfassade stand, beschlich mich ein eigenartiges Gefühl.  Die beiden Türme wirkten so unendlich mächtig. Ich musste in diesem Moment an die Westfassade unserer Klosterkirche denken und verglich sie in Gedanken.

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Ich war überwältigt von dem überbordenden Schmuck im Innern  der Kirche. Nichts erinnerte mehr an die zisterziensische   Schlichtheit. Zu offensichtlich schien mir die Absicht dieser barocken Ausstattung, mit der die Überlegenheit des Katholizismus über den Protestantismus demonstriert werden sollte.

Der örtliche Reiseführer, ein sprachgewandter Mann, den man sich gut als Prior vorstellen konnte, erzählte mit strahlenden Augen von der glorreichen Zeit des Klosters und vom Wirken der Zisterzienser-Mönche in dieser Region. Nachdem er mehrfach die Mönche aus Pforta erwähnte, konnte ich nicht widerstehen und ließ durchblicken, dass ich aus Pforta komme.
Er sah mich erstaunt an, als wäre ich ein leibhaftiger Nachkomme dieser tüchtigen Ordensbrüder.
Vieles wollte er von mir wissen – und ich erzählte von unserer Pforte, von der Ursprünglichkeit und Bescheidenheit der Klosterkirche, in der es keinen Schmuck gab und gibt, vom Kreuzgang und der Klausur, in der Jungen und Mädchen heute leben und lernen.Er war ein aufmerksamer Zuhörer.

Ich musste auf unser Weiterfahrt unwillkürlich an unsere Mönche denken, die im Zuge der Reformation 1540 ihr Kloster verlassen mussten und bescheiden abgefunden worden waren, während für ihre östlichen Ordensbrüder jetzt eine glanzvolle Zeit begann, in der sie ihre Kirchen und Klausuren prunkvoll ausschmückten.
Dass sie sich dabei von den zisterziensischen Bau- und  Lebensregeln immer mehr entfernten schien sie nicht zu stören. Ein Zeuge dieses üppigen Prunks ist der Abtssessel vom Kloster Grüssau.
Das Klosterleben im Osten endete 1810 mit der Säkularisierung. Offensichtlich hatte die prunkvolle Ausgestaltung der    Klosteranlagen zu ihrem Ende beigetragen
Neben der Klosterkirche Mariä Himmelfahrt in Grüssau   beeindruckten uns weitere Kirchen. Sie waren in bestem Zustand, fast alle mit dem Papstbild geschmückt und spiegelten die ausgeprägte Gläubigkeit der Bevölkerung wider.
Nennen möchte ich die Wallfahrtskirche des Bernhardiner-Klosters   in Kalwaria (4), die Geburtskirche des ehemaligen Papst Johannes Paul II in Wadowice, die Friedenskirche in Schweidnitz (5), die schlichte Holzstabkirche Wang im Riesengebirge (15 + 16) und natürlich die Pauliner-Kirche in Tschenstochau (19 + 20) mit der Marienkapelle, in der das Gnadenbild der Schwarzen Madonna  verehrt wird.
Der Menschenandrang vor der Ikone aus dem 14. Jahrhundert war überwältigend und professionell inszeniert. Die Marienverehrung der Polen ist allgegenwärtig.
Wir besuchten auf dieser Rundreise aber nicht nur Kirchen und Klöster. Da Schlesien angeblich die Region mit der größten Schlösser-Dichte in Europa ist, sahen wir stattliche Herrenhäuser und Paläste … und das nicht gerade schlichte Haus des deutschen Dichters Gerhart Hauptmann in Agnetendorf (17 + 18). Hier schrieb er in der Abgeschiedenheit des Riesengebirges einige seiner beeindruckenden Dramen.

Zum Schluss: Es war eine gute und bereichernde Reise. Ich war dankbar, dass wir sie machen konnten.
Ob sie in mir Heimatgefühle geweckt hat, kann ich noch nicht sagen. Das ist, wie wir wohl alle in dieser Runde wissen, ein schwer mit Worten zu beschreibendes Empfinden.
Auf jeden Fall bin ich stolz auf meine Vorfahren, die einst dazu beigetragen haben, dieses fruchtbare und reizvolle Land zu kultivieren … und stolz auf unsere Mönche aus der Pforte, deren Verdienst meines Erachtens nicht ausreichend genug gewürdigt  wird. Was sie geleistet haben, ist eindrucksvoll.
Dass sie sich so unauffällig aus der Geschichte verabschieden mussten, berührt mich.

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